Sabine Braun ist Fotografin, ihr Mann Harald Braun schreibt für Magazine und Zeitungen Geschichten auf. Gemeinsam sind die beiden ungefähr die Hälfte des Jahres irgendwo auf der Welt unterwegs. Das klingt nach einem Traumjob. Wäre es auch, wenn SIE nicht so Kanada und ER nicht so Australien wäre, wenn SIE nicht so gerne das Land erkunden und ER sich nicht viel lieber an sonnigen Stränden herumtreiben würde.
Einer Meinung sind die beiden selten, außer vielleicht bei dem Satz: „Augen auf bei der Reisepartner-Wahl!“
WO LIEGT DAS EIGENTLICH?
Südtirol ist die nördlichste Provinz Italiens inmitten der Alpen und firmiert offiziell als „Autonome Provinz Bozen“. Südtirols Hauptstadt Bozen liegt 180 Kilometer von München entfernt, von Mailand 200 Kilometer. Die Mehrheit der Südtiroler spricht deutsch, für 25 Prozent allerdings ist italienisch die Sprache der Wahl.
Gut eine halbe Million Einwohner leben in Italiens nördlichster Provinz, die mit einer Fläche von 7400 km² etwa halb so groß ist wie Schleswig-Holstein. Ein erheblicher Teil der Fläche wird von Gebirgslandschaften eingenommen, der Ortler ist als höchster Gipfel 3905 Meter hoch. Südtirols Hauptstadt Bozen hat rund 100.000 Einwohner.
WARUM WOLLTET IHR DA ÜBERHAUPT HIN?
SIE:
Natur. Was sonst. In Südtirol will ich über blühende Almwiesen laufen und mit dem Hund Gipfel erklimmen, in idyllischen Hütten einkehren und viele von den kulinarischen Köstlichkeiten der Region probieren. Außerdem habe ich viel über die von Reinhold Messner gegründeten Museen gelesen – ein oder zwei davon möchte ich mir auf jeden Fall ansehen, das gehört ja schon zum Südtiroler Kultur-Kanon ... Auch wenn das natürlich eng wird, weil der Gatte beim Stichwort Museum gleich eine Hochfrisur bekommt, dieser Kulturbanause.
ER:
Ausnahmsweise: Was Sabine sagt. Was meine Prioritäten angeht, würde ich ihre Liste allerdings ein klein wenig anders gewichten ... Ich hörte von fantastischen Speisen in Südtirol: Alles regional und bio, selbst auf den entlegensten Hütten. Zudem gibt’s dort überall hervorragende Weine und die richtige Einstellung dazu, wie eine überlieferte Weisheit aus Südtirol beweist: „Die Leute beklagen sich, wenn ich betrunken bin, doch keinen kümmert es, wenn ich verdurste.“
UND: ERWARTUNGEN ERFÜLLT?
SIE:
Gibt’s ein Wort für ein bisschen besser als fantastisch? Südtirol ist wie eine warme Brise fürs Herz. Geht schon in Meran los, dieser wunderlich auf Kleinstadtgröße zusammengeschrumpften Wundertüte. Wir verbrachten einen Tag in der Meran Therme, einem gläsernen Wasserpalast, den Weltdesigner Matteo Thun (übrigens auch für das nur per Gondel erreichbare Vigilius Mountain Resort in Lana verantwortlich) 2005 eröffnete. Wir cruisten auf dem E-Bike mit dem perfekten Guide Gerd Lochner von Sissi Tours quer durchs Meraner Land (Dauer sechs Stunden, Länge 34 Kilometer) und verkosteten dabei im Tschermser Biedermann-Hof zwei vorzügliche Weine von Wirt Hannes. Trafen anschließend „Kräuterhexe“ Priska Weger auf dem Oberhaslerhof bei Schenna, wo sie in ihrem steinalten Bauerngarten längst vergessene Kräuter und Gemüse aufzieht: Speisechrysantheme, Okaknolle, Erdmandel, Zucker- oder Haferwurz ... Schmeckt das alles nur halb so gut, wie es klingt, müsste man es dringend mal probieren.
ER:
Hallo? Wir konnten im Kalterer See schwimmen, diesem farblich betörenden Gewässer, der sich zudem rühmt, einer der wärmsten Badeseen der Alpen zu sein (Warmduscher welcome!). Wir becherten im grandiosen Eisacktal bei Brixen roten Suser (jungen Wein) in Buschenschänken gleich beim Erzeuger und genossen deftige Kastanien dazu. Wir schlenderten durch die mondänen Einkaufsstraßen Merans, wohnten im wunderbaren Design-Hotel „Muchele“, wo uns die fröhlichen Ganthaler-Schwestern das Gefühl gaben, Teil der Familie zu sein. Und: Wir lungerten sehr, sehr lange auf der Gompm Alm herum. Die hat alles, was man sich von einer Almhütte wünscht. Unaufgeregte Gourmetküche. Eine unbeschreibliche Lage in einem Wanderparadies mit Blick auf die Sarntaler Alpen. Und mit Helli Gufler verfügt dieser Sehnsuchts-Ort auch noch über einen kernigen Zeremonienmeister, der mit kreativen „No Bullshit“-Ideen das turbulente Berg-Leben abseits des Mainstreams befeuert. Und da will noch wer wissen, ob meine Erwartungen erfüllt worden sind? Aber jaaaaaaa!
DER SCHÖNSTE MOMENT?
SIE:
Den Spaziergang vom Radeiner „Zirmerhof“ (unbedingt auf der Terrasse ein Stück des herrlichen Kuchenbuffets probieren oder sich gleich in eine der allein stehenden Hütten des Zirmerhofs ganz in der Nähe des Haupthauses einmieten) hinunter in die Bletterbachschlucht schien selbst der bewegungsfaule Gatte zu genießen, was ich für die anschließende Einkehr in der „Isi-Hütte“ am Jochgrimm und die wunderbare „Knödel Tris“ dort sogar mit hundertprozentiger Sicherheit vermelden darf ...
ER:
Was heißt hier Moment. Ich nominiere ganze Tage, wie den auf der Gompm Alm zum Beispiel, aus Gründen, die ich bereits schilderte. Aber auch unseren Trip zum Schnalshuber Hof muss ich erwähnen, diesen schrulligen Originalschauplatz Südtiroler Gastlichkeit. Da erwartete uns der vierschrötig-verschmitzte Bio-Weinbauer Christian Pinggera mit Strohhut auf dem Kopf und bat uns an den Holztisch im Garten vor dem Haus, schenkte von seinem Wein, seinen Fruchtsäften und dem ebenfalls selbst gebrannten Obstler ein. Am Abend kehrten wir gleich wieder zu ihm zurück (vorsicht, Google-Maps führt in die Irre, besser den Weg vom Hausherren erklären lassen!), um im hauseigenen Restaurant zu speisen. Eigentlich bloß als schlichter Buschenschank mit maximal 180 Öffnungstagen im Jahr geplant, aber in Wahrheit ein überregional geschätztes Spezialitäten-Lokal. Es gibt gleich zwei gute Stuben dort drin: In einer steht der Kachelofen aus dem Jahr 1642 (!), die andere ist tapeziert mit alten Zeitungen, die bis zum Jahr 1871 zurückgehen – einem patinierten Zufallsfund unter jüngeren Tapeten. In der Küche kocht Mutter Pinggera traditionelle Gerichte Südtirols. Eine Speisekarte gibt’s nicht, sondern nur die forsche Ankündigung des Wirts darüber, was gerade da ist, denn vom Tier wird gerne alles verwertet bis zur letzten Faser, das ist die Philosophie des Hauses. Vom Schnalshuberwirt stammt auch das Zitat „Ich brauche keinen Psychologen, ich habe einen Weinberg“. Klasse Laden.
... UND DIE GRÖSSTE ÜBERRASCHUNG?
SIE:
Dass sich ein Restaurant namens „Onkel Taa“ in Bad Egart gleichzeitig als warmherzig von Großmutter, Tochter und Enkelin geführtes Haus entpuppt, in dem man die interessanteste Kräuter-Küche Südtirols findet und dazu sehr kuriose, aber schmackhafte Schnecken-Gerichte. Und dass sich der namensgebende Hausherr als ein sehr amüsanter Sammler von allerlei „Sissi“-Kuriositäten vorstellt, der genau damit in den angrenzenden Räumen des Restaurants ein wunderliches Museum vollstellt. Zeit und Hunger mitbringen.
ER:
Wie kreativ Südtiroler Gastronomen Tradition und Moderne auf beste Weise zusammenbringen: Der Torgglerhof im Passeiertal etwa ist das erste Apfelhotel Südtirols, stellt eigenen Apfelsekt her und hat in das eher traditionelle Haus eine Art futuristische Hobbit-Sauna in kleine Wiesenhügel gebaut. Das ist so ungewöhnlich wie mutig und – unter dem Strich – einfach grandios. Die größte Überraschung aber war wohl, dass Südtirol mir bis zur Abreise ausreichend Optionen bot, Sabine vom Besuch eines Museums abzulenken ...
TYPISCHER DIALOG:
SIE:
„Wollen wir denn jetzt heute mal in eines der Messner Mountain Museen gehen?“
Er:
„Natürlich, Schatz, ich freu mich schon drauf. Wir müssen nur vorher unbedingt noch kurz ... schau mal hier, was ich gefunden habe ...“