An diesem heiligen Ort im nördlichen Inselinneren Sri Lankas erwartet die Besucher ein zeremonielles Spektakel. Tagsüber ist die alte Königsstadt Anuradhapura ein wunderschönes, aber auch anstrengendes – weil zu jeder Jahreszeit heißes – Ziel. Deshalb sollte man am Abend herkommen, wenn es mit Einbruch der Dunkelheit kühler geworden ist. Dann ist der heilige Bodhi-Baum, ein Ableger jenes Feigenbaums, unter dem Buddha vor gut zweieinhalb Jahrtausenden die Erleuchtung gefunden hat, ein Muss-Ziel für Pilger und auch für kulturbewusste Sri Lanka-Urlauber.
Gegen 18 Uhr kündigt sich das Geschehen durch exotische Klänge an: Flötentöne, Trommeln und die Gesänge der Mönche rufen zur Andacht rund um den heiligen Baum. Alte Nonnen in braunen Kutten, die „Töchter Buddhas“, legen Tempelblumen vor einen goldenen Zaun, der den Baumstamm auf einem Podest vor allzu viel Zuneigung und womöglich Schlimmerem bewahrt. Fackeln erhellen den Ort der Andacht. Vor dem Heiligtum zünden Nonnen, Mönche und Besucher aus aller Welt Öllampchen an.
Anuradhapura war als bedeutendste unter den antiken Königsstädten weit über tausend Jahre lang (etwa vom 3. vorchristlichen Jahrhundert bis 1017) die Hauptstadt eines singhalesischen Reichs. In der Blütezeit der lankischen Hochkultur, als das Römische Reich schon im Untergang begriffen war, lebten in der Urwaldmetropole vermutlich eine Million Menschen.
Der Ort liegt im Zentrum eines kulturellen Dreiecks, zu dem unter anderem auch die Höhlentempel von Dambulla, der Löwenfelsen von Sigiriya und die Königstadt Polonnaruwa gehören. Die heiligen, großen Kuppelbauten, die aus dem weitläufigen Ruinenfeld leuchten, heißen Dagobas oder Stupas. Sie wurden über Reliquien erbaut, die Knochen, Haare oder andere vermeintliche Erinnerungen an Buddha enthalten sollen.
Die imposante, weiße Ruwanweliseya-Dagoba etwa steht an einem der vielen künstlichen Seen Anuradhapuras – auf ihrer vergoldeter Spitze glänzt ein Bergkristall in der Morgensonne, ein Geschenk von Buddhisten aus Burma (das heutige Myanmar). Der Tempel Isurumuniya beim Tisawewa-Stausee aus dem 5. JH n.Chr. ist bekannt für seine opulenten Skulpturen, und die Jetavana-Dagoba zählte einst mit einer ursprünglichen Höhe von 122 Meter zu den größten Bauwerke der Welt.
Die Anreise nach Anuradhapura ist etwas mühsam. Mit dem Auto von Colombo ist es fast eine Tagestour, von Kandy (ideales Stopover-Ziel) dauert der Trip immerhin noch dreieinhalb Stunden, mit dem Zug knapp vier. Aber der Aufwand lohnt sich!
Das historische Anuradhapura liegt einige Kilometer entfernt von der heutigen 56.000-Einwohner-Stadt in der Nord-Zentralprovinz von Sri Lanka.